Party-born dominiert über Pader-boring auf Libori 2018

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Veröffentlicht am 12. August 2018 In rhythmisch
Party-born dominiert über Pader-boring auf Libori 2018

An der Stadt Paderborn scheiden sich bekanntermaßen immer ein wenig die Geister. Ganz besonders natürlich bei denen, die noch nie wirklich da gewesen sind. Da ist aus so manchen schlauen Mündern zu hören, dass sich das Objekt des Zwiespalts irgendwo zwischen „Party-born“ und „Pader-boring“ bewegen würde, je nach Jahreszeit. Ich selbst war in meinem Leben erst ein einziges Mal in der Stadt an der Pader, und das liegt auch schon Jahrzehnte zurück. Also versuchte ich so unvoreingenommen wie möglich zu sein – um mich schließlich für ein langes Libori-Wochenende ganz von der „Party-born“-Seite einnehmen zu lassen. Und wie!

 

Die Paderborner Querschläger feiern mit Liboridade ihr 20-jähriges Jubiläum

„Ninguém tem força pra me segurar, quando o Samba chegar.“
„Niemand hat Kraft, mich zu halten, wenn der Samba kommt.“

Diese Textzeile aus dem Samba Exaltação der Paderborner Querschläger-Fraktion kommt nicht von ungefähr. „WIR DÜRFEN WIEDER…“ heißt es gleichzeitig auf der Facebook-Event-Seite zu Liboridade 2018. Dem Voraus geht eine etwas unrühmliche Geschichte mit den Querschlägern und dem Libori-Fest in den Vorjahren.

Liboridade ist ein frei kreierter Kunstbegriff der Querschläger mit direktem Bezug auf das traditionsreiche Stadtfest Libori. Das Libori ist ein alljährlich stattfindendes neuntägiges Kirchen- und Volksfest in Paderborn und mit rund 1,7 Millionen Besuchern soll sogar eines der größten und ältesten Volksfeste in Deutschland sein. Für die Stadt selbst ist es das bedeutendste Sommerfest im Jahreskalender und damit irgendwie auch fünfte Jahreszeit. Der Name Libori geht im Übrigen auf das Jahr 836 und den heiligen Liborius von Le Mans zurück.

 

Es ist die Magie, die der Samba macht, es ist Begegnung, (nicht immer) Vergnügung

Nun stößt eine lautstarke Sambaband wie die Querschläger aus Paderborn nicht immer und bei allen Menschen auf pure und unvoreingenommene Begeisterung. Eine ähnliche Problematik beschäftigt schließlich auch uns Universos beinahe jedes Mal während der Dresdner BRN. Einerseits trommelt und tanzt sich der Samba auf deutschen Straßen bei den meisten Zuschauern mit großer Freude in die Herzen. Andererseits stoßen sich aber auch immer mal wieder Gegner der extrem intensiven Samba-Straßen-Shows an den stets gleichen Themen wie Ruhestörung oder übertriebene Schallpegel. Ja, es ist laut. Und ja, wenn über hundert Musiker zusammenkommen und zum stimmgewaltigen Aufbruch stimmen, bleibt eine gewisse Störung der bürgerlichen Ruhe und Beschaulichkeit nicht aus. Das ist letztlich auch bewusste Intention des Sambas, dass die Stimmungslage aller Umstehenden und Beteiligten richtig angeheizt, also „sambafiziert“ werden soll.

Leider hat dies im letzten Jahr beinah zur Absage von Liboridade geführt, da sich die Proteste einiger unverbesserlicher Bürger bis in die Stadtverwaltung von Paderborn rumgesprochen hatten. Was dann folgte, waren scheinbar endlose Diskussionen im Rat der Stadt, die letztlich zu einem sehr reglementierten Showprogramm der Querschläger und ihrer Gäste führte. Eine Totalabsage konnte zwar mit Hilfe von größter Einsatzbereitschaft und öffentlichkeitswirksamen Engagement der Querschläger und vieler Unterstützer abgewendet werden, aber eine (selbst für mich) spürbare Kerbe hat es dennoch hinterlassen.

Meine bescheidene Meinung und damit letztes Wort am Rande: Es ist für mich alles andere als nachvollziehbar, wie die Verantwortlichen einer 145.000 Einwohner-Stadt es überhaupt so weit kommen lassen können, dass Auftritte einer international bunt besetzten Musikgruppe mit höchstem allgemeinen Unterhaltungswert auf einem von Grund auf sowieso lautstarken Straßenfest, welches jährlich von mehreren Millionen Menschen besucht wird, in Frage gestellt werden. (Hui, das war ein langer Satz;)

 

“Fight for your right to party”

Dementsprechend war dieser allseits bekannte Beastie Boys-Song genau die richtige, von uns öffentlich und extra laut vorgetragene Antwort auf die angesprochene Paderborner Misere. Dieses Medley und vor allem die drei Enredos der Querschläger Estácio, Imperatriz und Mocidade waren für volle vier Tage das Begleitprogramm am vergangenen hochsommerlichen August-Wochenende (02.-05.08.2018). Ich hatte zuvor schon einiges über das Paderborner Samba-Wochenende und die Gastfreundlichkeit der Querschläger gehört. Nun war es an der Zeit, mich nach meiner Premiere in Coburg auch hier zum ersten Mal einzureihen.

Nach meinen guten Erfahrungen der vorzeitigen Anreise beim Samba-Festival in Coburg hatte ich mich auch diesmal entschieden, bereits am Donnerstag vor unserem ersten Auftritt anzureisen. Allerdings lag das nicht zuletzt auch darin begründet, dass die Querschläger zwei vorbereitende Proben für all ihre Gäste anboten. Diese beiden Proben in den Abendstunden des Donnerstag und Freitag sollten die „heißesten“ werden, die ich je erlebt habe. Und hoffentlich je erleben werde – denn das ist in der Tat wörtlich zu nehmen. Die anhaltende Hitzewelle über Deutschland hatte natürlich auch beim Libori kein Erbarmen und heizte uns an den beiden Probenabenden gehörig ein. Der mit riesigen Fensterfronten verglaste Proberaum der Lise-Meitner-Realschule in direkter Nachbarschaft zum Trainingsgelände des SC Paderborn fasste v. a. am Freitag zeitweise bis zu 140 Sambistas, von denen gefühlt jeder einen einzelnen Temperaturgrad mit in dem Raum gebracht hatte. „Welcome to Samba Hell“ wäre nicht vermessen gewesen. Dafür aber waren die spitzenmäßige Verpflegung und die fast familiäre Obhut, in die uns die Querschläger genommen hatten, einfach zu himmlisch. Also, Schuhe aus und Augen zu – großzügig geteilter Schweiß ist halbes Leid.

 

Von goldenen Ärschen, Herz-Jesu und Baiana da Maria

Ein erster (halb)offizieller Programmpunkt von Liboridade ist der Querschläger Cannonball Contest. Dabei ist es zur Tradition geworden, dass sich alle bereits eingetroffenen Samba-Gäste am sommerlichen Freitagnachmittag im Rolandsbad zu Paderborn einfinden, um auf freiwilliger Basis an einem Arschbomben-Contest teilzunehmen. Eine dreiköpfige Jury bewertet die Sprünge der Teilnehmer, wobei jedem selbst überlassen ist, aus welcher Höhe er „bombardieren“ mag (1-10 Meter). Dem Sieger winkt eine Trophäe in Form eines goldenen Arsches, mit dem er die heimischen vier Wände schmücken darf. Ein extrem lustiges Schauspiel ist es allemal für alle umstehenden Badegäste.

 

 

Nachdem auch die letzten Samba-Gäste am Freitagabend zur Querschläger-Jubiläumsparty endlich angereist waren, wurde es für uns so richtig ernst im Sinne öffentlicher Gigs erst am folgenden Samstagnachmittag. Zum Progammauftakt hatten die Querschläger zu einem gemütlichen Pagode-Konzert in die Paderborner Paderauen an der Paderborner Pader geladen und extra einen Verpflegungsstand mit lecker Kuchen, Limonade und Kaffee aufgebaut (sofern man bei erbärmlich heißen Außentemperatur auch noch heißen Kaffee genießen mochte).

 

 

Frisch gestärkt und vom Paderwasser gekühlt zog die ganze, in schwarzen T-Shirts und weißen Hosen gekleidete Meute weiter zum 17 Uhr-Konzert am Capitol. Hier wurden wir bereits von einer vorfreudigen Menge erwartet, die es in bester Stimmung kaum erwarten konnte, bis es endlich losging. Jochen Carl, der Mestre der Querschläger gibt ein Zeichen, und los ging’s! Etwa 140 Musiker aus 13 Nationen bildeten zusammen eine imposante und lautstarke Samba-Formation. Aber nicht nur das, hinzu kam auch eine eigene Querschläger Tanzformation, deren reizend gefiederte und leicht bekleidete Tänzerinnen „leider geil“ anzusehen sind und nicht nur bei den männlichen Zuschauern für große Augen sorgten. Eine Tanzformation wünsche ich mir ab sofort auch für Samba Universo 😉

 

Ein weiteres, wenn auch kurzes Samba-Intermezzo gab es anschließend auf dem Paderborner Rathausplatz. Durch die alle Seiten umschließende Häuserfront am Platz wirkte der wuchtige Sound von Liboridade hier noch eindrucksvoller und zuweilen etwas furchteinflößend für kleinere Kinder am Streckenrand der direkt anschließenden Samba-Parade zur Herz-Jesu-Kirche. Hier hatte auch die Fahnenträgerin der Querschläger, die sog. Porta-bandeira in Person von Simone Carl, ihren ersten hinreißenden Auftritt.

Dieser fand dann in den späten Abendstunden, als endlich endlich endlich keine Sonne mehr von Himmel brannte, einen „sambastischen“ Abschluss, bei dem sich die volle Euphorie aller Aktiven nochmal ins Unermessliche steigern durfte. Auf dem Vorplatz der Herz-Jesu-Kirche am Paderborner Westerntor fand Liboridade 2018 schließlich einen standesgemäß wuchtigen Höhepunkt. Hier feuerten wir ein letztes Mal das komplette, mühsam einstudierte Festivalprogramm mit allen Showelementen und Sondereinlagen ab. Nicht ohne den tanzkräftigen Support durch die Querschläger Tanzformation, die nochmal alle (erlaubten) Hüllen fallen ließ und der Menge kräftig einheizte. In diesem Überschwang durfte ich, in erster Reihe spielend, sogar nochmal die Flagge der Querschläger-Fraktion „kosten“, die mir von der Porta-bandeira Simone im Eifer des Gefechts um die Ohren geschleudert worden ist. Gegen 22 Uhr ertönte schließlich der allerletzte Schlag und die Paderborner Querschläger mitsamt allen internationalen Gästen verneigen sich vor der Menge der begeisterten Zuschauer.

 

“Goodnight people here I am… Once more I will show you my baianá”

Da man als aktiver Sambista nach einem solchen Hammertag, an dem ein musikalischer Gig – oder vielmehr Kick – den nächsten jagte, am liebsten niemals mehr zur Ruhe kommen mag, war für den Abend im schicken Paderborner Club Wohlsein zur Liboridade-After-Party geladen worden. Dort gaben sich die Samba-Herren DJ Kylu (Berlin), Cabeludo de Unidos (Hamburg) und Lokalmatador DJ Jocar (Paderborn) abwechselnd die Teller in die Hand. Jeder der Jungs hatte seinen ganz eigenen musikalischen Stilmix mitgebracht, was zu einer wunderbar vielfältigen Partymischung führte, die zu keiner Zeit drohte langweilig zu werden. Ganz besonders bei der Drum&Bass-Version vom (scheinbar in der Samba-Szene) bekannten Song „Baiana“ der brasilianischen Percussion-Band Barbatuques hat es mich nochmal richtig aus den Tanzsocken gehauen, bevor wir völlig sambafiziert und mit einem seligen Lächeln auf den Lippen in den frühen Morgenstunden nach Hause torkelten. Allerdings hatten Geist und Körper erst gegen 5 Uhr in der Frühe soweit wieder Normallevel erreicht, dass ich vor meinem Zelt auf der Wiese schlafend endlich eindöste.

Was für ein Wochenende!

 


Alle gekennzeichneten Bilder mit freundlicher Unterstützung vom Fotograf Matti Malandro für die Paderborner Querschläger sowie von Katja Hei aus Hamburg. Vielen Dank für eure tollen Fotos!


 

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2 Kommentare zu “Party-born dominiert über Pader-boring auf Libori 2018

  • Jochen Carl on August 13th, 2018

    Wow. Vielen Dank für diesen Beitrag. Super geschrieben. Danke!

    • akm-admin on August 13th, 2018

      Hallo Jochen, merci vielmals für dein Feedback… Ihr als Querschläger habt ja an dem Wochenende auch ein Feuerwerk veranstaltet, über das zu schreiben im Nachgang nochmal einen Heidenspaß verursacht.

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